Mitgefühl mit den inneren Stimmen

“Compassion for Voices” ist ein Film des Department of Psychology am King´s College London über einen neuen Umgang mit inneren Stimmen: Mitgefühl.

Stimmenhören gehört zu den psychischen Symptomen, die nach wie vor am stärksten stigmatisiert sind. Stimmenhören kann ganz unterschiedliche Ursachen haben, wenn aber die Stimmen unkontrollierbar werden, befehlen oder beschimpfen, dann kann das sehr belastend sein. Das Department of Psychology am King´s College in London hat zusammen mit der Trickfilmzeichnerin Kate Anderson ein Video erarbeitet, in dem eine Therapieform vorgestellt wird, in der man seinen Stimmen auf besondere Weise begegnet: mit Mitgefühl. Die Sprecherin im Video ist die Psychologin Eleonor Longdon, die einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, als sie in einem TED Talk 2013 davon erzählte, wie sie lernte, mit ihren eigenen inneren Stimmen Frieden zu schließen.

Wir Menschen sind soziale Wesen, denen es angeboren ist, dass sie in Kontakt mit anderen treten, Nähe suchen, sich anvertrauen und austauschen möchten. Wir brauchen Geborgenheit und das Gefühl von Verbundenheit, um zur Ruhe zu kommen. Haben wir das nicht, fehlt uns eine wichtige Quelle, um Kraft zu schöpfen und uns zu regenerieren. Dies kann zu einem fortwährenden Gefühl von Anspannung, Unruhe oder sogar Bedrohung führen und die Ursache für verschiedene psychische Störungen sein wie Angsterkrankungen, Depression oder Psychosen.(1)

Der britische Psychologe Prof. Paul Gilbert hat beobachtet, dass Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die in ihrer Kindheit traumatische Erfahrungen erlebt haben, häufig Gefühle von Scham oder Selbstverachtung in sich tragen. Auf Erlebnisse in der Gegenwart reagieren sie mit übergroßer Selbstkritik und fühlen sich schuldig, auch wenn sie nichts falsch gemacht haben. Auf der anderen Seite ist es sehr viel schwerer für sie, mit sich selbst Mitgefühl zu empfinden und Verständnis und Freundlichkeit von außen annehmen zu können.

Paul Gilbert ist fest davon überzeugt, dass es möglich ist, Sicherheit und Geborgenheit in sich selbst zu stärken und wieder aufzubauen. In der Therapie hat er erlebt, wie Klient:innen lernten, Freude, Liebe und Güte in sich zu fördern und mehr Mitgefühl für sich und andere zu empfinden. Er nennt diesen Therapieansatz „Compassion Focused Therapy“ (CFT), also eine Therapie, die das Entwickeln von Mitgefühl für sich (und andere) in den Mittelpunkt stellt.(2)

Compassion for Voices: a tale of courage and hope.

Dabei geht es zunächst darum, innere Ängste gegenüber diesen neuen Gefühlen abzubauen, damit Selbstmitgefühl Schritt für Schritt an die Stelle der gewohnten negativen Gefühle von Scham oder Selbstverachtung treten kann und diese nicht mehr so stark das innere Erleben bestimmen. Im Film erlebt man, wie Stuart, die Hauptperson, unter ständiger Anspannung leidet und alltägliche Erfahrungen als Bedrohung empfindet. Seine inneren Stimmen spiegeln dies wieder und begegnen der Außenwelt mit Furcht und Misstrauen, während sie Stuarts eigenen Gefühlen abweisend und verachtend gegenüber stehen.

Als Stuart Hilfe bei einer Therapeutin sucht, erfährt er, dass es möglich ist, Selbstmitgefühl zu trainieren und zu vergrößern. Er lernt, mit Hilfe von Atemtechniken und imaginativen Übungen die innere Anspannung ein Stück weit zu lösen und einer neuen inneren Stimme Raum zu geben: der Stimme des Selbstmitgefühls. Stuart imaginiert in der Therapie das innere Bild einer idealen, mitfühlenden Person. Er stellt sich vor, wie diese Person ihn selbst und das, was er erlebt, sehen würde – wie es wäre, wenn diese Person ein Teil von ihm wäre und er mit Mitgefühl auf die Dinge, die er erlebt und empfindet, reagiert: Ereignisse im Außen und Gefühle oder Stimmen im Innern.

Die Stimme Selbstmitgefühls muss nicht die übrigen Stimmen ersetzen. Aber sie ermöglicht, dass die Stimmen der Furcht und des Misstrauens nicht alleine das Erleben bestimmen. Die Stimme des Mitgefühls schlägt eine Brücke zu Gefühlen und den Stimmen, die auf ihn einreden, und hört ihnen zu. ■

Links:

Hintergrundinfos zum Projekt „Compassion for voices“.

Link zum “Netzwerk Stimmenhören”, einer Selbsthilfeorganisation in Berlin.

Der Psychiater Ludger Tebartz van Elst bei einem Interview im Deutschlandfunk mit dem Plädoyer, dem Sammelbegriff der “Schizophrenie” grundsätzlich in Frage zu stellen.

Quellen:

(1) Sonnenmoser, Dr. phil. Marion (2014): „Mitgefühl mit sich selbst. Neue Therapieansätze“, in: Deutsches Ärzteblatt, Ausgabe 7/2014, S. 323.

(2) Gilbert, Paul (2009): „Introducing compassion-focused therapy“, in: Advances in psychiatric treatment, Aufgabe 15, S. 199-208.

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